ICH WILL ETWAS BEWIRKEN

Olafur Eliasson im Dialog mit Mirjam Varadinis
(Auszug aus dem Gespräch im Buch)

Du hast einmal gesagt: «Ich will etwas bewirken.» Das hat mich sehr beeindruckt, da es zeigt, wie wichtig es dir ist, Dinge zu bewegen – in der Realität ebenso wie in den Köpfen der Betrachter. Aber was willst du bewirken? Und wie kann Kunst etwas bewirken?

ICH WILL ETWAS BEWIRKEN
Olafur Eliasson im Dialog mit Mirjam Varadinis

(Auszug aus dem Gespräch im Buch)

 

Du hast einmal gesagt: «Ich will etwas bewirken.» Das hat mich sehr beeindruckt, da es zeigt, wie wichtig es dir ist, Dinge zu bewegen – in der Realität ebenso wie in den Köpfen der Betrachter. Aber was willst du bewirken? Und wie kann Kunst etwas bewirken?

Ich fand schon immer, dass Kunst eine eigene Wirksamkeit, eine eigene Handlungskompetenz hat. Und auch die Besucher sind bei ihrer Begegnung mit dem Kunstwerk aktiv. Beide sind an einem Ort, in einer Welt situiert – Werk und Betrachter wirken und handeln als Teil größerer Zusammenhänge. Dann stellt sich die Frage, was bei dieser Begegnung zwischen Werk, Besucher und Welt passiert. Bewegt das Kunstwerk den Betrachter? Versetzen die Betrachter das Kunstwerk in ihre jeweilige Gegenwart – in den Moment und die Welt, wo die Begegnung stattfindet? Ich glaube, alle drei können in Bewegung setzen, aber auch in Bewegung gesetzt werden.

Betrachten wir die Frage nach der Wirkung etwas umfassender, dann befindet sich die Kunst natürlich stets im Austausch mit der Epoche, in der sie entsteht; zwar galten Kunst und Künstler manchmal als Außenseiter, aber ich habe das Gefühl, dass sich diese Wahrnehmung im vergangenen Jahrzehnt verändert hat. Tatsächlich werde ich sogar – in meiner Eigenschaft als Künstler – zu Diskussionen mit Meinungsbildnern, Politikern, Geschäftsleuten, NGOs und Aktivisten über Lösungsansätze für lokale und globale Herausforderungen eingeladen. Ich glaube, dass meine Kunst robust genug ist, einer möglichen Instrumentalisierung zu widerstehen und sich nicht von den Interessen anderer Teilnehmer an diesen Debatten vereinnahmen zu lassen.

Einer der Gründe, warum Kunst und Kultur heute ernster genommen werden, liegt wahrscheinlich darin, dass viele Menschen über alternative Zukunftsperspektiven nachdenken. Wir machen diese Perspektiven zu einer körperlichen Erfahrung. Ich glaube, Kunst ist in der Lage, einige der Themen zu formulieren und körperlich erfahrbar zu machen, die zum Beispiel die Vereinten Nationen «nur» in Form von Daten und Diagrammen vermitteln können.

Klimawandel und Migration sind zwei der drängendsten Fragen unserer Zeit. Beide Themen spielen in deinen Werken der letzten Jahre eine bedeutende Rolle. Du betrachtest sie nicht allein unter einem analytischen Gesichtspunkt, sondern erschaffst immersive Installationen, die alle Sinne ansprechen. Welche Rolle spielt der emotionale Aspekt bei der Wahrnehmung?

Immersion ist für mich die körperlich-erfahrbare Sprache der Kunst. Wenn es darum geht, die Menschen in Sachen Klimawandel zum Handeln zu bewegen, reicht es nicht, ihnen einfach die relevanten Daten zum Klimawandel zu präsentieren. Es kommt darauf an, mit welcher Sprache dies geschieht; aber auch unsere jeweilige kulturelle Prägung zählt; und auch die Emotionen sind von Bedeutung, wie du schon sagtest. Doch wenn sie überhandnehmen, wenn es zu einem «Overload» von Ängsten kommt, verfällt man in Apathie. Eine Freundin von mir, die Verhaltensforscherin Elke Weber, hat die Psychologie der Entscheidungsfindung untersucht; sie spricht von einer «begrenzten Kapazität für Ängste» und meint damit, dass wir nur eine bestimmte Menge an beunruhigenden Themen verarbeiten können. Also müssen wir sie sorgfältig auswählen (einigen Themen lässt sich natürlich nicht ausweichen – sie wählen uns, nicht wir sie).

Ich glaube fest an die Bedeutung von physischen, körperlichen Erfahrungen. Wer erlebt, wie in ICE WATCH (2014) das Eis schmilzt, bekommt einen ganz anderen Einblick in das Geschehen als jemand, der nur etwas über die Gletscherschmelze gelesen hat. Die Beteiligung unserer Sinne ist entscheidend.

Natürlich versteht sich von selbst, dass wir langfristige Entscheidungen treffen müssen und uns nicht auf kurzfristige Maßnahmen beschränken dürfen, die lediglich die Wiederwahl von Politikern sichern. Um dazu in der Lage zu sein, ist, wie ich denke, Hoffnung unverzichtbar. Nur so können wir lernen, mit dem Klimawandel zu leben. Hoffnung schützt uns vor Verzweiflung und Traumatisierung. Wer keine Hoffnung für die Zukunft hat, wird sich kaum aktiv für etwas einsetzen. Indem sie auf die Sinne wirkt, wirkt Kunst der Apathie entgegen.

[…]

Der Diskurs über «Multispecies» und «Interspecies», d.h. aus und zwischen mehreren Arten bestehende biologische Systeme, hat in jüngster Zeit sehr viel Aufmerksamkeit erregt. In diesem Band haben wir eine Reihe von Texten und Auszügen zusammengestellt, die von einigen der bedeutendsten Denkerinnen und Denkern auf diesem Gebiet stammen und die auch für deine künstlerische Praxis der letzten Jahre wichtig gewesen sind. Welche Schlussfolgerungen für zwischenmenschliche Beziehungen lassen sich deiner Meinung nach aus diesen Theorien ableiten, und wie könnten sie in unsere Gesetzgebung einfließen?

Wie die Ökofeministin und Posthumanistin Donna Haraway und der Philosoph Timothy Morton fordern viele eine Multispezies-Umweltgerechtigkeit, die die Interessen nicht-menschlicher Lebewesen berücksichtigt. Das schließt auf den Menschen gerichtete Lösungsansätze zur Klimagerechtigkeit natürlich nicht aus, weil man das Problem von vielen Seiten angehen muss. Mary Robinson, die ehemalige Staatspräsidentin Irlands, spricht sich in ihrem Buch CLIMATE JUSTICE für aktiven Klimaschutz aus, indem sie anschaulich schildert, wie Menschen mit den Folgen des Klimawandels zurechtkommen – es handelt sich übrigens oft um Frauen, die dabei große Resilienz an den Tag legen. Ich halte dies für eine wirkungsvolle Strategie, denn sie appelliert an die Empathie unseren Mitmenschen gegenüber; wir können uns mit ihnen identifizieren, und diese Identifikation ist ein erster Impuls zum Handeln.

Die Idee von Multispezies-Gerechtigkeit ist faszinierend, aber sie verlangt uns auch einiges ab: Wir müssen unsere Identität als Mensch neu überdenken und uns als Teil eines riesigen Zusammenhangs begreifen – ohne Hierarchien, ohne menschliche Vorherrschaft. Haraway spricht von einem neuen Verständnis der Begriffe «Wir» und «Selbst». Es stellt zweifellos eine große Herausforderung dar, sich den Multispezies-Ansatz zu eigen zu machen, für Solidarität mit, wie Tim schreibt, «nicht-menschlichen Tieren» einzutreten, aber ich glaube, es ist gut und sinnvoll, unsere Vorstellungen von Identität und Handlungskompetenz zu erweitern. Dies muss dann aber auch ganz konkrete Auswirkungen darauf haben, wie wir leben.

Auch die juristischen Schritte hin zu mehr Rechten für die Natur, die zur Zeit unternommen werden, stimmen mich hoffnungsvoll. Bisher haben zwanzig Staaten Gesetze verabschiedet, die der Natur – oder Teilen der Natur – einen rechtlichen Status einräumen, der es erlaubt, dass Menschen in ihrem Namen vor Gericht gehen.

[…]

SYMBIOTIC SEEING (2020), die neue Hauptinstallation der Ausstellung im Kunsthaus Zürich, bezieht sich auf Margulis’ Symbiose-Theorie, rekurriert aber auch auf die Vorstellung des sogenannten «Urschleims», also jener uranfänglichen Substanz am Grund der Meere, mit und aus der sich das Leben zu entwickeln begann. Was in deinem Werk jedoch organisch aussieht, wird in Wirklichkeit von Hightech-Geräten produziert. Die Verschmelzung von Natur und Technik oder, anders ausgedrückt, unerklärlichem Wunder und wissenschaftlichem Experiment ist in deiner Arbeit sehr präsent. Was interessiert dich an dieser Kombination?

Mich interessiert vor allem die 360 Grad-Perspektive, das Denken in Systemen – beispielsweise, was das Verhältnis zwischen Darmbakterien, Gesundheit und Umwelt betrifft. Es ist mir wichtiger als die Ursuppe, obwohl sich unser Team bei der Vorbereitung der Ausstellung durchaus mit ihr beschäftigt hat.

In SYMBIOTIC SEEING projiziere ich Laserstrahlen auf einen ölbasierten Nebelschleier. Die Kombination von Laser und Nebel macht die Mikroturbulenzen in der Luft sichtbar; diese kleinen Wirbel und Strömungen entstehen beispielsweise durch die Körperwärme eines direkt unter dem Nebel stehenden Besuchers. Auf diese Weise im Kunstwerk unterschiedliche Materialien, Länge, Wärme und Körper zusammenzuführen, heißt für mich zugleich, die strukturellen Gegebenheiten dieses gemeinschaftlich geteilten Raums offenzulegen.

Ich versuche zu vermeiden, Technik und Natur als Gegensatz zu verstehen – diese Einteilung hat sich überlebt. Meiner Ansicht nach bringt das Anthropozän auch die Notwendigkeit mit sich, die Dinge eher unter dem Netzwerkaspekt zu betrachten. Menschliche und nicht-menschliche Aktivitäten sind eins. Mir ist klar geworden, dass die Vergangenheit uns nicht dabei helfen wird, uns in unserem «Jetzt» zurechtzufinden. Wir müssen von der Zukunft her denken.