Günther Kebeck, Andreas Karl Schulze: Übersummativität

Text (dt.) von Gütnher Kebeck,
96 S. mit 34 farbigen Abbildungen von Andreas Karl Schulze
Format 24 x 17 cm, Hardcover

ISBN 978-3-86442-299-7

 

24,80 €

Wahrnehmung zwischen wissenschaftlicher Analyse und künstlerischer Arbeit

Das Sehen ist uns so selbstverständlich, dass wir nicht fragen, wie unsere visuelle Welt entsteht. Aber das Netzhautbild, der Ausgangspunkt der mensch­lichen Wahrnehmung, hat kaum Ähnlichkeit mit dem, was wir sehen. Unser Bild von der Welt wird im Gehirn nach festen Regeln erstellt: den Gliederungs- und Gruppierungsgesetzen. Es sind schnelle, automatische Vorgänge, auf die unser Bewusstsein ­keinen Zugriff hat. Sie generieren die Ordnung der sichtbaren Welt. Max Wertheimer hat hierzu 1923 die bahnbrechende Forschungsarbeit vorgelegt. Und was ist der aktuelle Forschungsstand? Gliederung und Gruppierung sind Themen der Wissenschaft wie der Kunst. Die hier gezeigten künstlerischen Arbeiten von Andreas Karl Schulze spielen mit den ­Gesetz-mäßig­keiten des Sehens. Auf der einen Seite er­zeugen sie neue »Gestalten«, auf der anderen Seite ­provozieren sie gerade jene Mehrdeutigkeiten, die es im Alltag zu vermeiden gilt. Sie bringen die Konstruktionsregeln der visuellen Welt in einen produktiven Widerspruch, erlauben ungewohnte Zusammenschlüsse, gliedern die bekannte Welt neu. Farbige Baum­woll­­­quadrate von ­5 x 5 cm gestatten in ihrer Anordnung nahezu unendliche ­Variationen. Nach ­Farben sortiert, werden die Quadrate in Kartons aufbewahrt und reisen als Energiepäckchen um die Welt. Sie bilden eine mobile und flexibel einsetzbare künstlerische Ausstattung, die in der konzeptuellen Reduktion ihrer formalen Mittel äußerst knapp bemessen bleibt. Ihre Wahrnehmung hingegen ist ­komplex. Sie sind Bild und Objekt zugleich, nichts ist als Form abschließbar, alles hat Rhythmus und ist in Bewegung. Der Betrachter sieht, was sichtbar ist. Diese Konzentration auf das Sichtbare bedeutet keine Beschränkung, sondern ist – wie der Kunst­historiker Erich Franz es formuliert hat – »eine unabschließbare Erweiterung dessen, was zu er­kennen ist«. Das Sehen selbst wird zur Erfahrung. Aus­gewählt wurden für dieses Buch 34 Fotografien von Malerei-Installationen Andreas Karl Schulzes aus den ­Jahren 1998 bis 2016. Der Text von Günther Kebeck geht der Frage nach, wie sich mithilfe der Gliederungs- und Gruppierungsprozesse Ambiguitäten ­reduzieren lassen und schrittweise die Ordnung der visuellen Welt aufbaut. Wie Teile so zu einem Ganzen zusammengefügt werden, dass daraus schließlich eine Übersummativität resultiert: Das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Die Überlegungen zur Produktivität der menschlichen Wahrnehmung sind Ausgangspunkt für Fragen der Ästhetik. Warum empfinden wir Dinge als schön? Was ist das Besondere an der Wahrnehmung von Kunstwerken? Auf den ersten Blick könnte der Gegensatz zwischen dem wissenschaftlichen Text und den künstlerischen Arbeiten größer nicht sein: Lesen versus Betrachten, Reflexion versus Anschauung. Text und Bilder bleiben autonom. Gemeinsam ist ihnen die Konzentration auf das Sehen als grundlegenden Erkenntnisakt.