Picasso in der Kunst der Gegenwart in den Deichtorhallen

Ausstellung Deichtorhallen Hamburg 1.4.–12.7.2015

Nun ist die Schau PICASSO IN DER KUNST DER GEGENWART in der Woche vor Ostern in den Hamburger Deichtorhallen eröffnet worden. Das Hamburger Abendblatt schreibt zurecht von einer »hochkarätigen Ausstellung«, mit der das 25jährige Jubiläum der frisch sanierten Halle gefeiert wird. Die Schau zu »Picasso ohne Picasso«, dafür aber mit allem, was Rang und Namen und sich am französischen Jahrhundertgenie abgearbeitet hat, ist die komplexeste Schau, die in den Deichtorhallen je aufgelegt wurde. Und sie ist, so das übereinstimmende publizistische Credo in der Nordmetropole, ein »Augenschmaus«, der die grundsanierte Halle mit raumgreifenden Werken etwa von Robert Longo, Art & Language, Gary Hume oder Roy Lichtenstein in hellem Licht erstrahlen lässt. Dirk Luckow, der Direktor der Deichtorhallen, spricht denn auch von seiner »Lust auf Kunst, auf Malerei«, und »Picasso hat sich ja selbst mit vielen seiner Vorläufer befasst – diese Idee von Picasso haben wir in die Gegenwart fortgeführt«.

 

Picasso in der Kunst der Gegenwart
Dirk Luckow, Direktor Deichtorhallen Hamburg
(Auszug aus dem Vorwort)

Die Ausstellung PICASSO IN DER KUNST DER GEGENWART bringt Licht in die künstlerische Rezeption von Picasso, die schon 1912 mit Juan Gris’ kubistischem »Portrait of Pablo Picasso« einsetzte. Die überbordende Sinnlichkeit und Imaginationskraft von Picasso, die große stilistische und inhaltliche Spannbreite seines Werks fordert Künstler seit über hundert Jahren heraus. Picasso wurde bewundert, aber auch gehasst, man feierte, studierte und kopierte ihn. Seine Malerei und sein künstlerischer Individualismus haben sich bis heute nicht verbraucht. Die Ausstellung in den Deichtorhallen Hamburg ist dem überwältigenden Spektrum moderner und zeitgenössischer künstlerischer Sichtweisen auf Picasso gewidmet. Denn noch immer werden die Auswirkungen des Jahrhundertgenies auf die Gegenwartskunst, denen hier mit über 200 Werken von 87 Künstlern nachgespürt wird, unterschätzt. Neue, teilweise versteckte oder auch unerwartete Picasso-Zitate lassen das Bild seiner Rezeption immer differenzierter erscheinen. Fernab der heroischen Zeitgenossenschaft von Künstlern, die den Überschwang Picassos und seinen Weg zu  künstlerischem Weltruhm stilistisch unmittelbar teilten und begleiteten, zieht die Ausstellung eine verblüffende Bilanz. Sie zeigt aktuelle künstlerische Positionen, die von Picasso einfach nicht lassen können, zum Teil auf den ersten Blick gar nichts mit ihm zu tun haben oder, im Gegenteil, in der Tradition der Appropriation Art fast selbst wie ein Picasso wirken, scheinbar gleichauf mit dem Vorbild, aber ihm zugleich doch merklich entrückt.

Picassos Kunst hat heute deshalb eine so große Wirkung, so die These der Ausstellung, weil sich Werk und Person nicht auseinanderdividieren lassen und das Werk dadurch exemplarisch erscheint. Es ist unter politischen wie formalen Gesichtspunkten gleichermaßen faszinierend und aktuell geblieben. Picassos Biografie, angesiedelt zwischen Formexperiment, Geschlechterkampf und Weltpolitik, zwischen rauschhaftem Sinnenfest und Tragödie, baut mit ihren fast allseits bekannten Aspekten Erinnerungsbrücken zu jenen Werkfacetten, die Künstler bis heute mit Picasso assoziieren und die bei der Schaffung ihrer Werke sowohl auf der inhaltlichen und narrativen als auch auf der formalen Ebene eine Rolle spielen. Qualität, Reflexionstiefe und methodischer Ansatz im künstlerischen Umgang mit Picasso waren dementsprechend die wesentlichen Faktoren bei der Auswahl der Exponate.

Die Haltung heutiger Künstler zu Picassos Schöpfungen changiert zwischen Verehrung, intellektueller Assimilation und Neuinterpretation; darin ähnelt sie Picassos eigenem Spiel mit dem Vorbild. Das Ringen mit den eigenen Vorläufern hat den spanischen Künstler bis zuletzt umgetrieben – Picasso hatte ein geradezu obsessives Verhältnis zum künstlerischen Diskurs. In seinem Aneignungsfanatismus kämpfte er ruhelos und virtuos mit den großen Meistern der Vergangenheit wie Velázquez, Manet, Cranach, Grien, Poussin, David, El Greco, Courbet, Degas oder Rembrandt. Er stellte nicht nur Édouard Manets »Olympia« nach, sondern signierte auch eigene Kataloge mit „Rembrandt“ oder projizierte die »Nachtwache« an seine Atelierwand im südfranzösischen Mougins. Diese Art des malerischen Dialogs wird mit der Ausstellung PICASSO IN DER KUNST DER GEGENWART fortgeführt. Denn was für Picasso gilt, gilt auch für die heutigen Künstler: Ihre Werke sind häufig alles andere als pietätvoll im Umgang mit dem brillanten Vorläufer. Während Picasso die Einflüsse anderer Künstler auf sein Schaffen im Frühwerk kaschierte, um sie im Spätwerk umso mehr hervorzuheben, stellen die Künstler sie heute in den Vordergrund, als gäbe die Faszination von Picassos Malerei mehr denn je Rätsel auf und als wäre ein kostbares Erbe zu verteidigen.

Picasso verkörpert wie kein anderer Künstler die Kunst des 20. Jahrhunderts. Schon zu Lebzeiten war er ein Synonym für die Moderne in der westlichen Kunst, vielen gilt er als Erfinder der modernen Malerei. Heute kennt fast jedes Kind seinen Namen. Die Ausstellung will auch der Befürchtung entgegentreten, Picasso sei heutzutage bloß noch als Klischee zu begreifen. Im Unterschied zu dem, was viele Menschen vielleicht denken, wenn sie den Namen Picasso hören, ist sein Oeuvre gerade wegen des hohen Grads an künstlerischer Reflexion über ihn so lebendig. Ja, Picasso, seine Kunst, sein Mythos könnten nicht ausdrucksvoller und vielgestaltiger zurückkehren als in dieser Ausstellung.